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Das Leid mit dem Schmerz
Schmerz ist ein akutes Warnsignal des Körpers, um darauf aufmerksam zu machen, dass etwas nicht stimmt. Schmerz kann aber im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen zum täglichen Begleiter werden und sich negativ auf Lebensqualität und Psyche auswirken. Der Komplementärmediziner Dr. Alexander Angerer und der Anästhesist und Intensivmediziner Dr. Gerald Parth führen in der CityClinic ein Schmerzambulatorium. Sie können vielen Patienten wirksam helfen – unter anderem auch mit medizinischem Cannabis.
Die Ursachen für chronische Schmerzzustände sind sehr unterschiedlicher Natur: Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson, Polyneuropathien, Endometriose, Morbus Crohn, Arthrose, Migräne Krebs oder HIV. Ein dauerhaftes Ziehen, Reißen, Pochen, Hämmern ist nicht nur schwer auszuhalten, sondern wirkt sich insgesamt negativ auf sämtliche Lebensumstände der Betroffenen aus. Häufig halten Gereiztheit und Schlaflosigkeit Einzug, soziale Kontakte nehmen ab, die Partnerschaft wird belastet, Depressionen und andere psychische Störungen können auftreten. Nicht selten sind chronische Schmerzen auch Ursache für Arbeitsausfälle bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. „Viele Patienten, die zu uns kommen haben eine Odyssee hinter sich. Visiten beim Hausarzt, bei Rheumatologen, Internisten, Neurologen – ohne eine zufriedenstellende Lösung gefunden zu haben“, erklärt der Komplementärmediziner Dr. Alexander Angerer, der sich auf Schmerztherapie spezialisiert hat. „Das Leben diese Patienten ist oft massiv belastet und schwer.“
Schmerz wissenschaftlich nicht messbar
Die erste Visite beim Schmerztherapeuten ist die wichtigste, erklärt Dr. Gerald Parth. Auch der Intensivmediziner ist ein Spezialist für verschiedenste Schmerzen. Es gelte, ein Vertrauensverhältnis herzustellen und die gesamte Situation des Patienten zu erfassen. Zeit ist hier ein wichtiger Faktor. Viele Schmerzpatienten fühlen sich nicht ernst genommen, können nicht offen mit ihrem Umfeld über ihre Beschwerden reden. Nicht zuletzt auch, weil Schmerz wissenschaftlich nicht messbar ist. „Wir können die Intensität des Schmerzes über eine Skala von 1 bis 10 einschätzen, eine Serotoninspiegelmessung im Blut kann Hinweise auf die Schmerzintensität geben, aber letztlich ist Schmerz ein sehr subjektives Empfinden. Die Patienten empfinden es oft schon als Erleichterung, dass sie offen reden können,“ betonen die beiden Schmerztherapeuten.
Ein Jahrhunderte altes Wissen neu entdeckt
Die Hoffnung für viele chronische Schmerzpatienten heißt Cannabis. Ein neuer Ansatz in der Schmerztherapie, auch wenn das Wissen um die heilende und wohltuende Wirkung der Hanfpflanze schon mehrere tausend Jahre zurückreicht. In China war Cannabis schon vor 3000 Jahren bekannt als wirksames Mittel bei Schmerzen, Schlafproblemen, Migräne, aber auch bei Depressionen. Die alten Griechen und islamische Ärzte ab dem 9. Jahrhundert verwendeten Cannabis zur Förderung des Appetits und als Schmerzmittel. In der modernen Medizin wurde Cannabis ab etwa 1850 zur Schmerzstillung verwendet; 1925 wurde der Gebrauch dann weltweit eingeschränkt, das Wissen um die heilsame Wirkung der Cannabinoide trat in den Hintergrund, die Pflanze war nur mehr als Droge bekannt und verrufen. Erst 2007 wurde Cannabis in Italien für medizinischen Nutzen zugelassen. Medizinischer Cannabis wirkt nicht nur gegen Schmerzen, sondern auch appetitanregend und beruhigend bei Angstzuständen, lindert Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Übelkeit und Erbrechen (siehe dazu auch Interview unten). Der Vorteil einer Cannabistherapie, stimmen Dr. Angerer und Dr. Parth überein, liegt in der Möglichkeit einer individuellen Einstellung der Therapie auf die Bedürfnisse des Patienten und in der guten Verträglichkeit. Dosierung und regelmäßige Einnahme sind Voraussetzung für den Erfolg. Begonnen wird mit einer leichten Dosis, die in monatlichen Abständen nach Bedarf angepasst werden kann. Medizinischer Cannabis kann über Jahre hinweg eingenommen werden.
Auf Dauer wirksam und macht nicht abhängig
Dr. Angerer verfolgt neben der Cannabistherapie als Komplementärmediziner zusätzlich einen ganzheitlichen Ansatz, Dr. Parth arbeitet als Anästhesist sowohl mit Cannabis als auch – je nach Lokalisierung, Schmerz, Entstehung, Kategorie und Ursache – mit verschiedenen anderen Arten von Medikamenten, u. a. mit Opiaten bzw. auf Cortison beruhenden Infiltrationen, die vor allem im Bereich der akuten Rücken- und Gelenksschmerzen zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen können. Die Verwendung von medizinischem Cannabis, darin sind sich beide Schmerztherapeuten einig, „ist das Neue in der Therapie chronischer Schmerzen. Sehr wirksam, gut dosierbar, einfach einzunehmen und bei korrekter Einnahme und Dosierung praktisch frei von negativen Begleiterscheinungen. Es kann von heute auf morgen abgesetzt werden und macht nicht abhängig“, erklären Dr. Angerer und Dr. Parth. Wichtig ist, auch darin stimmen beide Experten überein, den Schmerz nicht sich selbst zu überlassen, sondern ihn frühzeitig zu bekämpfen. „Einen Patienten von qualvollen Schmerzen zu befreien, ihm die Freude am Leben, eine zufriedenstellende Lebensqualität zurückzugeben, zählt zu dem Schönsten, was man als Arzt erreichen kann“, beteuern beide Fachärzte und verweisen auf Hippokrates, der bereits sagte: „Es ist göttlich, den Schmerz zu lindern“.
Dr. Alexander Angerer
Dr. Alexander Angerer hat in Innsbruck Medizin studiert und in Wien die Ausbildung zum Komplementärmediziner absolviert. Er arbeitete von 2008 bis 2013 im Krankenhaus Meran in der Abteilung für Komplementärmedizin und ist seit 2018 an der CityClinic in Bozen tätig. In Naturns unterhält er eine Privatpraxis. Er ist im Vorstand des Cannabis Social Clubs, eines Vereins, der das Ziel verfolgt, die Anwendung von medizinischem Cannabis im Südtiroler Sanitätsbetrieb zu fördern.
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