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Medizinisches Cannabis: Arznei oder Suchtmittel?

Der Hanfpflanze eilt ihr schlechter Ruf als berauschendes Kraut voraus. Doch in den Händen eines Arztes wird sie zu einer wichtigen Heilpflanze. Foto: Shutterstock
Viele Menschen haben Vorurteile gegenüber der therapeutischen Verwendung von Cannabis und stellen die Frage: Ist das nicht eine Droge, das gleiche wie Haschisch und Marihuana? Der Schmerztherapeut Dr. Alexander Angerer erklärt den Unterschied.
Was macht aus Cannabis bzw. Hanf eine Droge oder eine Medizin?

Was den Hanf zur Droge machen kann, ist vor allem ein Wirkstoff, nämlich THC, die Abkürzung für Delta-9- Tetrahydrocannabinol, eine psychoaktive Substanz, die unter anderem das Zentralnervensystem des Menschen beeinflusst und eine relaxierende und sedierende Wirkung hat, aber auch gegen Brechreiz wirkt. Der zweite wichtige Inhaltsstoff von Cannabis ist CBD, Cannabidiol.
CBD hat eine schmerzlindernde, entzündungshemmende, appetitanregende und krampflösende Wirkung. Es ist vor allem das Zusammenspiel und die richtige Konzentration, nicht nur von THC und CBD, sondern auch von den anderen mehr als 600 Komponenten der Hanfpflanze, die die Wirksamkeit von Cannabis ausmachen.

Wie viel THC enthält medizinischer Cannabis?

Therapeutischer und verschreibungspflichtiger Cannabis enthält allgemein zwischen 5 und 8 Prozent THC und zwischen 8 und 15 Prozent CBD. Je nach Erkrankung und Schmerz-Entität kann der THC-Gehalt auch erhöht werden. Im Vergleich: Cannabis-Produkte wie Öle, Tees, Gebäck, die im Hanfshop ohne Rezept erhältlich sind, dürfen nach den strengen gesetzlichen Vorschriften in Italien maximal 0,5 Prozent THC enthalten.

Der THC-Gehalt liegt bei therapeutischem Cannabis immer unter dem Gehalt des CBD?

Ja. Das ist der Unterschied zur Droge. Als Rauschmittel verwendeter illegaler Hanf enthält mehr THC als CBD, bis zu 18 Prozent. Marihuana oder Haschisch werden in der Regel geraucht und haben damit eine immediate berauschende Wirkung. Medizinisch kommt Cannabis in Form von Tropfen oder auch als Spray zur Anwendung.

Bei welchen Schmerzen ist Cannabis als Therapie indiziert?

Vor allem bei chronischen Schmerzzuständen. Von chronischem Schmerz spricht man ab einer Dauer von mehr als 3 bis 6 Monaten. Es gilt, im Gespräch mit dem Patienten ein klares Bild von seiner Situation zu erstellen und den Schmerz zu lokalisieren. Bei Migräne, Nerven- und autoimmunen Erkrankungen wie Polyneuropathien, Multipler Sklerose, Parkinson, aber auch Arthrose und Rheuma oder Krebserkrankungen ist Cannabis sehr wirksam. Ich hatte Patienten, die nach zehnjährigem Schmerzleiden verzweifelt zu mir gekommen sind und denen ich mit Cannabis wirksam und dauerhaft helfen konnte. Bei akutem Schmerz arbeite ich auch mit anderen Medikamenten, mit Infiltrationen oder auch Pflastern.
Es liegt im Ermessen des Schmerztherapeuten zu entscheiden, welche Therapie und welche Dosis für den Patienten die wirksamste ist. In jedem Fall braucht der Patient keine Angst zu haben. Medizinischer Cannabis wird strengstens kontrolliert. Die von uns individuell verschriebenen Präparate werden in darauf spezialisierten und kontrollierten Apotheken hergestellt.

Welche Patienten stellen sich bei Ihnen im Ambulatorium vor? Haben sie sich schon mit dem Thema Cannabis befasst?

Oft stellen sich im Ambulatorium Personen vor, die sozusagen zum letzten Rettungsanker greifen. Sehr oft haben sie auch schon über Cannabis gelesen und fragen sich tatsächlich, ob es für sie in Frage kommen könnte.
Im Allgemeinen handelt es sich um chronische Schmerzpatienten, Personen, die seit vielen Jahren mit Schmerzen kämpfen und sich auch entsprechend vorab informieren. In diesen Fällen ist Cannabis oft die beste Lösung. In der Behandlung von Patienten mit akuten oder sehr starken Schmerzen, z. B. nach Verletzungen oder Operationen, kommen auch traditionelle Schmerzmittel zum Einsatz, bzw. unter den entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen auch Opioide. Bei akuten Gelenks- und Rückenschmerzen sind auch Infiltrationen mit Cortison indiziert oder eine Behandlung mit Cortison-Pflastern. Bei extrem starken Schmerzen kann es auch zum Einsatz von Fentanyl, einem Opioid, kommen, z. B. bei Krebserkrankungen. Je nach Schmerz in Form von Pflaster, Spray oder Lutschtablette. Als Arzt muss ich abschätzen können, wie stark der Schmerz ist und welche Behandlung in diesem bestimmten Moment am besten für den Patienten und sein Allgemeinwohl ist.
Dr. Alexander Angerer
Dr. Alexander Angerer hat in Innsbruck Medizin studiert und in Wien die Ausbildung zum Komplementärmediziner absolviert. Er arbeitete von 2008 bis 2013 im Krankenhaus Meran in der Abteilung für Komplementärmedizin und ist seit 2018 an der CityClinic in Bozen tätig. In Naturns unterhält er eine Privatpraxis. Er ist im Vorstand des Cannabis Social Clubs, eines Vereins, der das Ziel verfolgt, die Anwendung von medizinischem Cannabis im Südtiroler Sanitätsbetrieb zu fördern.